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Capacity Crunch: Wird das World Wide Web zum World Wide Wait?

Das Internet, genauer gesagt die Millionen von Servern, Antennen, Routern etc. aus denen es sich physisch zusammensetzt, hat sich zu einer lebenswichtigen Infrastruktur unserer Welt entwickelt. Bereits heute sind ganz fundamentale Prozesse zur Deckung lebenswichtiger Bedarfe, von der Energieversorgung bis zum Notruf, praktisch nicht mehr ohne eine Abstützung auf vernetzte Datenverarbeitung und elektronischen Informationsaustausch denkbar. Genau wie wir davon ausgehen, dass der Strom aus der Steckdose kommt erwarten wir selbstverständlich, dass es überall WLAN, mobile Datennetze und die Möglichkeit zum bargeldlosen Bezahlen gibt, ohne uns darüber Gedanken machen zu müssen wie das eigentlich im Detail funktioniert.
Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass sich diese Abhängigkeit in den nächsten Jahren massiv verstärken wird, sei es durch den zu erwartenden Boom des Internet of Things, die Visionen vom autonomen Fahren in smarten Städten oder durch den Einsatz vernetzter Produktionssysteme in Smart Factories. Bereits heute wächst der weltweite Datenverkehr jedes Jahr um 20 % bis 30 % an, ein Wachstum das sich, nach Allem was wir wissen, eher stark beschleunigen, als verlangsamen wird.

Dies alles ist nur möglich, weil es eine erstaunlich kleine Zahl von Kabeln gibt, die den weltweiten Datenaustausch erst möglich machen. Nahezu 99 % des weltweiten Datenverkehrs wird über die rund 300 Seekabel abgewickelt, die auf einigen wenigen „Trassen“ auf dem Boden der Weltmeere verlegt sind. Oder anders gesagt: Seekabel sind die kritischste Infrastruktur des Internets.

Der Begriff Capacity-Crunch tauchte erstmals um die Jahrtausendwende auf, als bewusst wurde, dass die Kapazität optischer Fasern für die Übertragung von Daten durch das sogenannte „nichtlineare Shannon Limit“ prinzipiell und unabänderlich begrenzt ist. Capacity Crunch beschreibt dabei ein Szenario, in dem der Bedarf an Übertragungskapazität das Angebot übersteigt. Technologische Fortschritte (insbesondere die Möglichkeit Wave Division Multiplexing (WDM) auf bereits existierenden Seekabeln zu nutzen) haben dafür gesorgt, dass die Kapazitätsreserven der Seekabelverbindungen zum Anfang des neuen Jahrtausends geradezu explosionsartig angewachsen sind, ohne dass dazu die Verlegung neuer Kabel notwendig war. Das Thema Capacity Crunch verschwand wieder aus der Diskussion, da das Angebot die Nachfrage um Größenordnungen überstieg und es nun möglich erschien durch das Verlegen weniger neuer Kabel enorme neue Kapazitäten zu eröffnen. Leider hält diese optimistische Einschätzung einer aktuellen übergeordneten Betrachtungsweise, die auch die ökonomischen Randbedingungen und die ganz praktischen Schwierigkeiten des Verlegens von Seekabeln mit einbezieht, nicht stand und das Capacity Crunch Szenario hat nichts von seiner Relevanz verloren.

Den Trick mit der gewaltigen Kapazitätserweiterung der existierenden Systeme durch das Einführen neuer Übertragungsverfahren können wir nicht nochmals wiederholen, da wir mit den derzeitigen Verfahren bereits nahezu die, durch das Shannon Limit definierte, Obergrenze erreicht haben. Jede weitere Kapazitätserweiterung kann dann nur noch durch das Verlegen neuer Kabel erfolgen. Leider ist es ziemlich hoffnungslos ein exponentielles Wachstum (Datenverkehr) mit linearen Maßnahmen (Verlegen neuer Seekabel) in den Griff bekommen zu wollen und die Frage wann das Wachstum nicht mehr handhabbar wird hängt im Wesentlichen nur davon ab, wie groß der Vorsprung am Anfang des Rennens war und wie schnell es gelingt neue Systeme zu bauen und zu verlegen.

An dieser Stelle kommen nun die ökonomischen und praktischen Aspekte ins Spiel. Die enorme Kapazitätserweiterung der frühen 2000er Jahre durch die WDM Einführung hat dazu geführt, dass die Preise für Übertragungskapazität praktisch ins Bodenlose eingebrochen sind. Daraus folgte, dass die Schaffung neuer Kabelsysteme auf vielen Trassen unwirtschaftlich geworden ist und nicht nur keine neuen Systeme gebaut werden, sondern auch die dafür notwendige komplexe Infrastruktur (Verlege-Schiffe, Sonare, Experten etc.) in nur geringem Maße vorhanden und damit auch nicht gewappnet ist, im großen Stil neue Verbindungen zu eröffnen. Ganz im Gegenteil stagniert die weltweite „Verlegekapazität“ seit vielen Jahren, eine Erweiterung ist nicht in Sicht, da sich die Preise und damit die Wirtschaftlichkeit erst dann ändern werden, wenn wir uns dem Capacity Crunch gefährlich nähern und Bandbreite auf einmal wieder zu einem knappen Gut wird.

Diese Gemengelage veranlasst uns eine Zukunft mit einem Capacity Crunch nicht mehr auszuschließen. Die Tatsache dass sich die ganz „Großen“ der digitalen Wirtschaft (Amazon, Google, Facebook) inzwischen eigene Systeme bauen, sollte uns Warnung genug sein.

Dieser Trend-NEWSletter-Artikel wurde im November 2019 veröffentlicht.

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