Die Krise als Chance nutzen – Fraunhofer-Fluthilfeprojekt INT 2030+

Ein Projekt als Einstieg in die Gestaltung der Zukunft des Fraunhofer INT

Das Flutereignis vom 14./15. Juli 2021 hat das Fraunhofer INT zu einer Bestandsaufnahme sowohl von der aktuellen Situation als auch der zukünftigen Institutsentwicklung unter völlig neuen Vorrausetzungen genötigt. Für das Fortbestehen des Instituts ist eine strategische Weiterentwicklung unter den geänderten Rahmenbedingungen unerlässlich. Die notwendigen Maßnahmen bieten die Aufgabe und Chance, die langfristige Strategie des Instituts in Teilen weiter zu denken.

Aus dieser Situation heraus ist im Laufe des Jahres 2022 ein Plan für die perspektivische Entwicklung des Fraunhofer INT bis zum Jahr 2030 und darüber hinaus entstanden. Der Ankerpunkt ist die bereits im Strategieprozess 2018 formulierte Vision, zukünftig in gleichem Maße als verlässlicher Partner in Forschung und Transfer sowohl verteidigungsbezogen für das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) als auch zivil für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) etabliert zu sein. Mit den flutbedingten neuen Voraussetzungen können und müssen wir dieser Vision nun weiter nachgehen. Entsprechend haben wir viel vor:

Durch die geschickte Verknüpfung der beiden Unique Selling Propositions (USP) – experimentelle Ausstattung und die Fähigkeit zur langfristigen Technologieanalyse und -vorausschau – wird das Institut sein Portfolio in den existierenden Forschungsfeldern erweitern sowie ein neues Forschungsfeld »Space« aufbauen. Dabei wird insbesondere das Augenmerkdarauf gerichtet, Produktentwicklungen speziell für bestehende und neue Kundschaft aus Industrie und Wirtschaft zukonzipieren, um konsequent im Fraunhofer-Modell den zivilen Finanzierungsanteil des Instituts weiter zu etablieren. Das neue Forschungsfeld »Space« bildet hier inhaltlich und wirtschaftlichein logisches Bindeglied zwischen den beiden bestehenden Forschungsbereichen.

In diesem Themengebiet, in dem das Fraunhofer INT bereits seit circa acht Jahren sehr aktive und für viele Fraunhofer-Institute koordinierende Tätigkeiten und Netzwerkarbeit mit Industriekundschaft im Rahmen der Fraunhofer-Allianz AVIATION & SPACE durchführt, ist das Potential für neue Ertrags- und Geschäftsmodelle äußerst hoch. Der Markt der kommerziellen Raumfahrt wird in den kommenden Jahren massiven Wachstum erleben, da die zivile, erdnahe Raumfahrt (Erdbeobachtung etc.) von immenser Bedeutung ist, um globalen Herausforderungen, wie beispielsweise der Klimakrise, zu begegnen.

Bei diesem ambitionierten Programm wird das Institut durch die Fraunhofer-Gesellschaft auf vielfältige Weise unterstützt. Von der direkten und unmittelbaren Unterstützung bei der initialen Bewältigung der vielfältigen Herausforderungen direkt nach der Flut über andauernde Hilfe (Ausweich-Rechenzentrum am Fraunhofer FKIE) bis hin zu der Möglichkeit ein aus dem Vorstandsfonds finanziertes Projekt zu starten, das der beschriebenen Weiterentwicklung Starthilfe gibt. Dieses Projekt, »INT 2030+«, schlägt somit eine Brücke aus dem Jetzt in die Zukunft des Fraunhofer INT.

INT 2030+ – Ein Zukunftsprogramm für das Fraunhofer INT

Das Projekt INT 2030+ bündelt unter der Prämisse »Weitermachen was erfolgreich ist, und zusätzliche Chancen ergreifen« vier Initiativen, die das Fraunhofer INT voranbringen werden:

1. Die Kombination der Aktivitäten aus der Fraunhofer-Allianz AVIATION & SPACE sowie die Kompetenzen aus den beiden Fachabteilungen in einem neuen Forschungsfeld »Space«

  • Das Fraunhofer INT wird zu einem Ort, an dem sich die deutsche und europäische Space Community trifft.

2. Der Ausbau der Kompetenzen und Kapazitäten im Bereich Data Driven Foresight

  • Das Fraunhofer INT wird zum Innovationstreiber an der Schnittstelle zwischen Data Sciences, künstlicher Intelligenz und (technologieorientierter) Zukunftsforschung.

3. Die vorhandenen Kompetenzen im Bereich der Zuverlässigkeit von Elektronik gegenüber ionisierender und elektromagnetischer Strahlung durch eine konsequente Weiterentwicklung der Laborumgebungen stärken

  • Bedienung von Anwendungsfeldern mit hohen gesellschaftlichen Auswirkungen, wie beispielsweise Strahlungs- bzw. Störempfindlichkeit von Quantencomputern, künstlicher Intelligenz, zukünftiger Mobilfunktechnologien (6G+) und smarten Produktionssystemen

4. Die Errichtung eines TASP-Inkubators (TASP = Technologieanalysen und Strategische Planung) mit folgenden zwei Teilzielen:

  • a. STRONGER: Die Flutkatastrophe im Sommer 2021 hat aufgezeigt, dass der Transfer von Forschungsergebnissen in die Anwendung im Bereich des Katastrophenmanagements nicht zufriedenstellend funktioniert. Die Fraunhofer-Gesellschaft kann und muss hier eine wichtige Rolle einnehmen. Wir wollen, aufbauend auf dem, was wir schon seit vielen Jahren erfolgreich machen, eine Plattform anbieten, auf der Anwender*innen mit Expert*innen aus Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), Wirtschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft zu einer verbesserten langfristigen Fähigkeitsplanung zusammentreffen.
  • b. Als Zukunftsinstitut, das zudem in der Strukturwandelregion Rheinisches Revier mit ihren spezifischen Herausforderungen angesiedelt ist, entwickeln wir im »Kompetenzzentrum Strategic Foresight« (CC-SF) mit angegliedertem Foresight Cube (einem speziell konzipierten physischen Raum, der eine unmittelbare Immersion in den Foresight Prozess ermöglicht) kontinuierlich Tools und Methoden weiter. Dazu gehört insbesondere das Entwickeln von spezifischen Formaten für die Unterstützung strategischer Entscheidungen von kleinen- und mittelständischen Unternehmen (KMU) im Strukturwandel.

Mit einer Laufzeit von drei Jahren und einer finanziellen Ausstattung von drei Millionen Euro ist das Projekt substantiell genug, um einen echten Unterschied in der strategischen Entwicklung des Instituts zu machen.

Die einzelnen Initiativen im Kurzportrait

New Space Economy

In den letzten Jahren hat die Raumfahrtbranche eine disruptive Veränderung erlebt. Immer mehr private Unternehmen setzen Raumfahrtprojekte erfolgreich, mit kommerziellen Geschäftsmodellen um. Unter dem Begriff »New Space« wird diese wirtschaftliche Nutzung des Weltraums durch private Anbieter zusammengefasst. Damit sich der Fraunhofer INT-Raumfahrtbereich zukünftig zu einem nationalen Hub für Raumfahrtaktivitäten entwickeln und zum bevorzugten Ansprechpartner für Primes sowie KMU werden kann, muss das Fraunhofer INT zeitnah ein tiefes Verständnis der New Space-Branche entwickeln. Dazu ist es wichtig frühzeitig ein branchenübergreifendes Netzwerk aus institutioneller Raumfahrt, New Space, Industrie und angewandter Forschung aufzubauen. Mit dem Sitz der Geschäftsstelle Space der Fraunhofer-Allianz AVIATION & SPACE am Institut sind wir prädestiniert für diese Aufgabe.

TASP-Inkubator

Das Teilprojekt TASP-Inkubator (TASPI) entwickelt zwei bereits in der Vorlaufforschung begonnene und auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen befindliche Innovationen bis zur Verwertungsreife weiter. Die konsequente Weiterentwicklung von Tools und Methoden im Competence Center – Strategic Foresight (CC-SF) und deren fokussierte Nutzung im Foresight Cube hat zum Ziel, dass wir insbesondere die Kostenstruktur von Foresight-Projekten besser auf die Bedürfnisse von KMU anpassen, um auf diese Weise Foresight für KMU erschwinglich zu machen. Der so entstehenden KMU-spezifische strategische Foresight soll zum USP für das Fraunhofer INT ausgebaut werden.

Die Arbeiten für das »Strategische Planungscenter – Katastrophenmanagement und Resilienz« (STRONGER) bauen insbesondere das Ineinandergreifen und die Sichtbarkeit, Operationalisierung und Verwertung existierender  Kompetenzen im Geschäftsfeld Öffentliche Technologie- und Innovationsplanung (TIP) gezielt aus. Dabei sollen insbesondere die Bedarfe der Anwendungsseite in das Zentrum von Innovationsprozessen gestellt werden sowie die Offenheit für innovative Lösungen und deren Implementierung im Bereich des Katastrophenmanagements nachhaltig verbessert werden. Die Fraunhofer-Gesellschaft bietet im Bereich Krisen-Resilienz ein großes Spektrum an Lösungsansätzen und die entsprechenden Fachkräfte können mittels STRONGER frühzeitig in entsprechende Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten (F&E) eingebunden werden.

Data Driven Foresight (DDF)

Das Teilprojekt DDF zielt darauf ab, einen Foresight-Prozess mittels datengestützter Methoden zu unterstützen und zu begleiten. In diesem Kontext ist am Fraunhofer INT in den letzten Jahren das KATI-System (Knowledge Analytics for Technology & Innovation) entwickelt worden, ein Assistenzsystem für die Technologiefrühaufklärung. Aktuell dienen datengestützte Ansätze der punktuellen Unterstützung bei speziellen Fragestellungen. Mit DDF soll ein Vorgehen entwickelt werden, mit dem ein strategischer Foresight-Prozess über die komplette Länge des Prozesses unterstützt wird. Damit wird neben der Entwicklung neuer datengestützter Foresight-Methoden auch das Produktportfolio des Fraunhofer INT erweitert, und die Marktposition im Bereich Foresight und Innovationsmanagement nachhaltig ausgebaut.

NE Goes Digital

Mobiles Arbeiten innerhalb des Betriebs, Desk-Sharing oder auch die Arbeit von zu Hause aus haben sich spätestens seit dem Beginn der Corona-Pandemie in vielen Bereichen etabliert. Die daraus entstehenden Vorteile werden hierbei zunehmend von Unternehmen wahrgenommen und auf weitere Bereiche übertragen, wie beispielsweise die digitale Fertigung in der Industrie 4.0. Diese Konzepte sollen zukünftig auch auf die Laborumgebungen am Fraunhofer INT übertragen werden. Die Digitalisierung der Laboreinrichtungen bspw. durch Automatisierung von Messroutinen und Messgeräten oder auch interdisziplinäre Verknüpfung der Einrichtungen stellt dabei ein nützliches Hilfsmittel dar, mit dessen Unterstützung auch die Bearbeitung von umfangreichen und komplexen Studien ermöglicht wird.