Seien Sie sicher: Unsere Forschung wird auch weiterhin dazu beitragen, die Welt ein Stückchen sicherer zu machen.
Liebe Leserinnen und Leser,
sind Sie sicher, dass Sie sicher sind?
Wer in den letzten Monaten die Nachrichten verfolgt und insbesondere den Äußerungen des Autokraten Putin und seiner Gefolgsleute aufmerksam gelauscht hat, den hat sicher des Öfteren ein Schauer überlaufen. Allerdings dürfte es kein wohliger gewesen sein, wie man ihn im bequemen Kinosessel empfindet, wenn man sich einen gut gemachten Gruselfilm ansieht. Vor allem für diejenigen unter uns, die den Kalten Krieg selbst erlebt haben, hört sich das fatal nach einer längst überwunden geglaubten Eroberungsrhetorik an, die einem kalte Schauer über den Rücken jagt. Putins Träume von einem wiederauferstandenen russischen Großreich sind nur auf Kosten freier, unabhängiger – und in der Regel auch demokratischer – Staaten realisierbar. Das russische Militär als willfähriges Werkzeug des Machthabers schreckt dabei weder vor Kriegsverbrechen jeglicher Art noch vor dem Einsatz aller denkbaren Waffen zurück, und es ist ein Glück, dass die nukleare Option auf dem Schlachtfeld bisher noch nicht gezogen wurde. Im Krieg der Worte gehört sie längst schon wieder zu den verwendbaren Kriegsmitteln.
Kann das Undenkbare denkbar werden?
Auf diese Frage gibt es keine gesicherte Antwort. Die logische Folgerung daraus lautet, dass nur die Vorbereitung auf alle Eventualitäten einen gewissen Schutz bieten kann. Im Kalten Krieg wurde Frieden in Form eines Nicht-Einsatzes von Waffen dadurch aufrechterhalten, dass das Risiko größter Verluste für beide Seiten unkalkulierbar blieb. Die Triade aus konventionellen, nuklear-taktischen und nuklear-strategischen Kräften ermöglichte eine Strategie der flexiblen Antwort und machte es dem Gegner unmöglich, die Reaktion auf eine Aggression vorherzusehen. Real verfügbare Fähigkeiten sowie die uneingeschränkte Glaubwürdigkeit, diese Fähigkeiten auch vollumfänglich zur Verteidigung einzusetzen, waren die Säulen, auf denen die damalige Sicherheitsarchitektur aufgebaut war. Die gesicherte gegenseitige Vernichtung hat wechselseitige Eroberungsgelüste im Keim erstickt. Am Ende war es weitgehend rational denkenden Menschen an der Spitze der beiden Blöcke zu verdanken, dass das Gleichgewicht des Schreckens aufgelöst werden konnte.
Heute ist die Situation leider ungleich komplizierter als im Kalten Krieg. Zum einen gibt es deutlich mehr Nuklearmächte als zur damaligen Zeit, was die Möglichkeiten zur Proliferation erheblich vermehrt. Die Gefahr, dass irrational handelnde, fanatische oder terroristische Kräfte Zugang zu diesen Waffen erlangen, hat sich stark erhöht, aber auch nicht jeder »rechtmäßige« Besitzer eines Nuklearwaffenarsenals kann als rational bezeichnet werden. Zudem ist aus der Spieltheorie bekannt, dass sich die Zahl möglicher Spielverläufe potenziert, wenn mehr als zwei Spieler am Tisch sitzen. Aus der relativ überschaubaren Konfiguration einer zweiseitigen Konfrontation ist nun eine Ansammlung von nicht berechenbaren Mitspielern mit je eigenen, teilweise unbekannten Absichten geworden.
Die technologischen Möglichkeiten für den Bau nuklearer Waffen haben seit dem Ende des Kalten Krieges ebenfalls zugenommen. Die Konstruktion von Gefechtsfeldwaffen, deren Sprengkraft zwischen »großen« konventionellen und »kleinen« nuklear-taktischen Waffen liegt, wird wieder diskutiert. Diese »Mini-Nukes« sind geeignet, die nukleare Schwelle deutlich zu senken.
Ein weiterer Punkt kommt hinzu: aus der oben erwähnten Triade ist eine unheilvolle Quadriga geworden. Die großen technologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte haben den Cyberraum zum Gefechtsfeld und Cyberwaffen zu effektiven Angriffsmitteln werden lassen. Moderne Industrienationen sind extrem abhängig geworden von ihrer digitalen Infrastruktur und globaler Vernetzung. Für einen Aggressor bietet sich hier die Möglichkeit, sehr preiswert und effizient ein mögliches Opfer unterhalb der Schwelle eines Schießkrieges so sehr zu schwächen, dass ein Einsatz militärischer Kräfte nur in geringem Umfang oder gar nicht mehr notwendig wird. Wer aufmerksam hinsieht, kann die Trollfabriken und Cyberbataillone autokratischer Staaten auch bei uns bei ihrer Arbeit beobachten.
Nicht zuletzt: Fragen zu militärischen Konflikten – insbesondere auch zu Nuklearwaffen und deren Wirkungen – waren in den vergangenen drei Jahrzehnten nicht besonders en vogue in unserer Gesellschaft. Viele der im Kalten Krieg erarbeiteten Kenntnisse sind verschüttet, der Umgang mit den verbundenen Fragestellungen muss wieder neu erlernt werden. Dies ist ein Lernprozess, der nicht nur im Militär, sondern vor allem auch in der zivilen Gesellschaft bewältigt werden muss. Denn was schon seit der Antike gilt, zeigt uns der Ukraine-Krieg mit erschreckender Deutlichkeit aufs Neue: im Krieg gibt es keine Aufteilung in kämpfende Soldaten und unbeteiligte Zivilpersonen. Beide sind betroffen und häufig trifft es die ungeschützte Bevölkerung noch härter als die Soldaten.
Seit 50 Jahren forscht das Fraunhofer INT über moderne Technologieentwicklungen auch für militärische Anwendungen, Katastrophenvorsorge, die Verwundbarkeit der digitalen Welt durch elektromagnetische Bedrohungen und auch über die Wirkungen nuklearer Waffen.
Seien Sie sicher: unsere Forschung wird auch weiterhin dazu beitragen, die Welt ein Stückchen sicherer zu machen.
Der vorliegende Jahresbericht bietet Ihnen wieder einen Überblick über die zahlreichen zukunftsweisenden Forschungsergebnisse, die das Fraunhofer INT allen Widrigkeiten zum Trotz im letzten Jahr erarbeitet hat.
Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen. Bleiben Sie neugierig und schauen Sie mit uns in eine hoffentlich sichere Zukunft.
Herzlichst, Ihr
Prof. Dr. Dr. Michael Lauster
Institutsleiter