Wissenschaft in Zeiten der Pandemie

Seit mittlerweile 2 Jahren wird unser Alltag durch die Corona-Pandemie bestimmt. Das hinterlässt auch im Wissenschaftsbetrieb seine Spuren, wie eine ganze Reihe von Publikationen belegen, die sich genau mit dieser Frage befassen. Dabei stehen verschiedene Aspekte im Fokus der publizierten Analysen. So zeigen beispielsweise Aviv-Reuven & Rosenfeld [1], dass die Anzahl an Publikationen insbesondere auf den diversen Preprint-Servern wie arXiv oder medRxiv stark angestiegen sind. Dies ist durchaus von Vorteil, weil wichtige wissenschaftliche Ergebnisse so schneller zugänglich gemacht werden können. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die dort online gestellten Beiträge zwar frei zugänglich sind, aber in vielen Fällen noch nicht begutachtet worden sind.

Andere Arbeiten befassen sich mit der Frage, ob Wissenschaftler oder Wissenschaftlerinnen stärker von den Folgen der Pandemie betroffen sind. So konnten Vincent-Lamarre et al. [2] schon im Mai 2020 nachweisen, dass es gerade Wissenschaftlerinnen sind, die weniger publizieren. Dazu haben die Autoren die Einreichungen neuer Preprints auf einer ganzen Reihe von entsprechenden Servern analysiert und diese Daten mit denen aus dem Vorjahr verglichen. Es zeigt sich, dass es ausgeprägte Unterschiede zwischen den einzelnen Disziplinen gibt und es meist die Wissenschaftlerinnen sind, die weniger publizieren.

In einer aktuellen Arbeit gehen Gao et al. [3] der Frage nach, ob die Folgen der Pandemie für den Wissenschaftsbetrieb möglicherweise von Dauer sein könnten. Dabei stützen sich die Autoren nicht nur auf quantitative Analysen von Publikationsdaten, sondern haben im April 2020 und Januar 2021 jeweils zwei Umfragen unter Wissenschafter*innen durchgeführt. So gaben die Wissenschafter*innen in der ersten Phase der Pandemie an, im Schnitt etwa 7 Stunden pro Woche weniger arbeiten zu können. Bei der zweiten Befragung kam heraus, dass es nur noch etwa 2 Stunden weniger waren, so dass sich die Situation im Januar 2021 wieder etwas normalisiert hatte. Einen nachhaltigeren Effekt lässt ich im Bezug auf die Initiierung neuer Forschungsprojekte beobachten, die ebenfalls nachgelassen hat. Die passt zur Beobachtung der Autoren, dass im Schnitt weniger neue Kooperationen gestartet werden, was sich in einer abnehmenden Anzahl neuer Koautorschaften äußert. Diese Effekte sind besonders in jenen Wissenschaftsbereichen besonders ausgeprägt, die sich nicht mit Themen befassen, die mit der Pandemie verknüpft sind. Er wird als direkte Folge des Social Distancings interpretiert, da diese die direkte Interaktion von Wissenschaftler*innen erschwere. Ferner können die Autoren aufzeigen, dass besonders Frauen und jene Wissenschaftler*innen von den Einschränkungen betroffen sind, die sich um kleine Kinder kümmern müssen. Insofern ist der Wissenschaftsbetrieb hier ein Spiegel der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung. Damit verschärft die Pandemie die Ungleichbehandlungen zwischen Männern und Frauen wieder.

Diese Arbeiten demonstrieren ferner das Potenzial und die Bedeutung quantitativer Methoden auf der Basis von Publikationsdaten nicht nur für die Zukunftsforschung, sondern auch für weiterreichende gesellschaftliche relevante Fragen. Sie sind dem Feld Science of Science zuzuordnen [4], welches seit einigen Jahren unter verschiedenen weiteren Begriffen wie Meta-Research oder Research on Research, en vogue wird. Der grundlegende Ansatz geht aber auch De Sola Price zurück, der schon in den 60ziger Jahren die Idee skizzierte, dass man die Methoden der Wissenschaft, also zählen, messen, Hypothesen aufstellen und Modelle entwickeln, auch auf die Wissenschaft selbst anwenden könnte [5]. Das umfassende Verständnis des Systems Wissenschaft und der Prozesse, die dieses gestalten sind auch für die Technologiefrühaufklärung von großer Bedeutung.  

Literatur

[1] Aviv-Reuven, Shir ; Rosenfeld, Ariel: Publication patterns’ changes due to the COVID-19 pandemic: a longitudinal and short-term scientometric analysis. In: Scientometrics 126 (2021), Nr. 8, S. 6761–6784, DOI 10.1007/s11192-021-04059-x

[2] Vincent-Lamarre, Philippe ; Sugimoto, Cassidy R. ; Larivière, Vincent: The decline of women’s research production during the coronavirus pandemic. Nature Index, URL https://www.natureindex.com/news-blog/decline-women-scientist-research-publishing-production-coronavirus-pandemic (abgerufen am 28.01.2022)

[3] Gao, Jian ; Yin, Yian ; Myers, Kyle R. ; Lakhani, Karim R. ; Wang, Dashun: Potentially long-lasting effects of the pandemic on scientists. In: Nature Communications 12 (2021), Nr. 1, S. 6188, DOI 10.1038/s41467-021-26428-z

[4] Fortunato, Santo ; Bergstrom, Carl T. ; Börner, Katy ; Evans, James A. ; Helbing, Dirk ; Milojević, Staša ; Petersen, Alexander M. ; Radicchi, Filippo ; Sinatra, Roberta ; Uzzi, Brian ; Vespignani, Alessandro ; Waltman, Ludo ; Wang, Dashun ; Barabási, Albert-László: Science of science. In: Science 359 (2018), Nr. 6379, DOI 10.1126/science.aao0185

[5] Price, Derek J. de Solla: Little science, big science. New York, NY: Columbia University Press, 1963