Die Innensicht des Instituts sagt uns: wir stecken noch mitten in den unmittelbaren Auswirkungen der Katastrophe.
Liebe Leserinnen und Leser,
»The year after« – frei nach dem Titel eines bekannten Endzeitfilms zeigt sich: auch im Jahr danach ist die Flutkatastrophe von Euskirchen vom Juli 2021 das beherrschende Thema im Institutsalltag.
Noch immer ist ein großer Teil der Institutsflächen zerstört, nur zum Teil zurückgebaut und von einer wie auch immer gearteten Nutzbarkeit weit entfernt. Noch immer dienen Container als provisorische Labore; sie haben sich im Laufe des Jahres als Experimentalumgebung für hochgenaue Messungen als unbrauchbar erwiesen. Und noch immer ist ein großer Teil der Mitarbeitenden auf Home-Office angewiesen, da zahlreiche Büroarbeitsplätze unbenutzbar sind. Die Innensicht des Instituts sagt uns: wir stecken noch mitten in den unmittelbaren Auswirkungen der Katastrophe.
Glaubt man allerdings der offiziellen Behördensicht, ist die Krise vorbei. Im Frühjahr wurde deshalb entschieden, die Lockerungen für das Vergabeverfahren von Bauleistungen zu beenden und wieder zu den zeit- und arbeitsaufwändigen Regelverfahren zurückzukehren – mit der Folge, dass selbst einfachste Vorgänge, wie das Einbringen eines Werkstattbodens auch eineinhalb Jahre nach der Flut noch nicht beauftragt, geschweige denn bearbeitet, sind.
In seiner Satire »Parkinsons Gesetz« beschreibt der Historiker Northcote Parkinson, wie Verwaltungen wachsen und durch immer neue Regelwerke Arbeit erzeugen, die ausschließlich der Überwindung der inneren Reibung der sich aufblähenden Organisation gewidmet ist – ein sich selbst verstärkender Vorgang. Das Verhältnis von Ergebnis zu Aufwand verschlechtert sich dadurch kontinuierlich und geht im Grenzwert gegen Null – ein Effekt, der im Augenblick an vielen Stellen zu beobachten ist. Die Krankheit trägt auch einen Namen: Parkinson bezeichnet sie als »Injelitance«; ein Leiden, das im Laufe der Zeit fast jede große Organisation befällt und die nur ein Heilmittel kennt: den gesamten Regelungswust mit Stumpf und Stingel ausrotten, einen neuen Ansatz wagen und neu aufbauen. Will man die von Kanzler Scholz beschworene »Deutschlandgeschwindigkeit« erreichen, dürfte dieses Vorgehen wohl alternativlos sein.
Mit einem neuen Ansatz sind auch wir Mitte des Jahres gestartet. Aus dem Wissen um die extrem langen Zeiten, die für große Bauvorhaben zu veranschlagen sind und der Erfahrung des letzten Jahres über die Unzulänglichkeiten des Containerbetriebs resultiert die Notwendigkeit, eine Interimslösung zu finden, die die Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessert. Labore müssen in festen Gebäuden temperaturstabil und in unmittelbarer Nähe zu den Experimentierhallen untergebracht werden. Damit kommen nur die bereits vorhandenen Gebäude in der Liegenschaft Appelsgarten in Betracht; die logische Konsequenz ist die Umwidmung von Bibliotheks- und Büroflächen in den neuen, relativ wenig geschädigten Bauten sowie deren unverzüglicher Umbau. Der Bedarf an Büroarbeitsplätzen ist durch eine entsprechende Anmietung am Standort Euskirchen zu decken.
Auch wenn meine obige Einführung ein wenig kritisch und negativ geklungen haben mag: dieser Ansatz ist bei allen unseren Partnern auf offene Ohren gestoßen und wir erfahren große Unterstützung von allen Seiten. Trotz zahlreicher formaler Hürden arbeiten alle an der raschen Umsetzung des Konzepts, und es besteht die Hoffnung, dass wir 2023 nicht nur die Finanzierung der Interimslösung sicherstellen können sowie eine Entscheidung bezüglich der Anmietung von Büroflächen fallen wird, sondern dass wir auch große Schritte bei der Beschaffung der notwendigen Mittel für die großen Bauvorhaben gehen können.
Was ebenfalls nicht unerwähnt bleiben darf: Ende 2022 ist das vom Vorstand der Fraunhofer-Gesellschaft geförderte Zukunftsprojekt des Fraunhofer INT gestartet (siehe S. xx), das mit einem Umfang von drei Millionen Euro über drei Jahre die Möglichkeit eröffnet, neue Kompetenzen für das Institut zu erarbeiten und damit neue Märkte für unsere Forschungsdienstleistungen zu erschließen.
Insgesamt gibt es also durchaus Anlass, trotz Injelitance und mancher enttäuschender Verzögerungen im Wiederaufbau, versöhnlich auf das abgelaufene Jahr zu schauen und optimistisch in das kommende zu starten.
Der vorliegende Jahresbericht bietet Ihnen einen Überblick über die zahlreichen zukunftsweisenden Forschungsergebnisse, die das Fraunhofer INT allen Widrigkeiten zum Trotz im letzten Jahr erarbeitet hat.
Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen; bleiben Sie neugierig und schauen Sie mit uns in eine spannende Zukunft für das Fraunhofer INT.
Ihr
Prof. Dr. Dr. Michael Lauster