Die Giants Gender Gap in der Patentometrie

„Standing on the shoulders of giants“ – das ist ein Ausdruck, den man in der Wissenschaft oft hört. Er soll ausdrücken, dass man neue Erkenntnisse erreicht, indem man auf den Erkenntnissen anderer aufbaut. Übersetzen würden wir „Giants“ wohl mit „Riesen“, aber wie viele von diesen Riesen sind eigentlich Riesinnen? Gibt es eine „Giants Gender Gap“? Aus vielen Studien geht hervor, dass eine geschlechtsspezifische Ungleichheit in der Wissenschaft existiert, welche trotz eines allgemein rückläufigen Trends in den letzten zwei Jahren wieder größer geworden ist [1]. Diese Erkenntnisse basieren meist auf der Analyse von Publikationsdaten. Wissenschaftliche Publikationen bilden aber nur einen Teil von dem ab, was so in der Wissenschaftswelt los ist. Ein anderer Teil, der vor allem für die Entwicklung konkreter Anwendungen relevant ist, kann durch Patente erschlossen werden. Das führt uns zu der Frage: Kann man aus Patenten, bzw. Patentanträgen ähnliche Rückschlüsse ziehen wie aus den Publikationen?

Schaut man sich die Statistiken des World International Patent Office (WIPO) [2] an, so kommt man schnell zu dem Schluss: ja und nein. An 31,3% der PCT-Patentanträge im Jahre 2020 war mindestens eine Erfinderin beteiligt. PCT steht dabei für Patent Cooperation Treaty und beschreibt einen vom WIPO bereitgestellten Dienst, welcher die Anmeldung eines Patents in mehreren Ländern erleichtert (Anmeldung über die PCT-Route [4]). Zum Vergleich: an über 90% war mindestens ein Mann beteiligt [3]. Abbildung 1 macht deutlich - von einem ausgewogenen Verhältnis sind wir noch weit entfernt. Betrachtet man alle Personen, die 2021 als Erfinder*innen den PCT genutzt haben, so sind 16% davon weiblich. Das bedeutet es gibt weltweit mehr als 5-mal so viele patentierende Erfinder wie Erfinderinnen!

Aber die Lücke schließt sich. In den letzten 20 Jahren ist der Anteil an Frauen kontinuierlich gestiegen und die Erfinderinnen haben sich nicht von der Corona-Pandemie abschrecken lassen. Im Gegenteil, der Zuwachs von 2020 zu 2021 betrug 1%, mehr als in den 20 Jahren davor. Der Anteil der Anträge ist durchschnittlich sogar um 2% gestiegen von den genannten 31,3% auf 33,3% in 2021 – ein deutlicher Unterschied zu den Publikationen.  Den Größten Anteil an Anträgen mit mindestens einer Erfinderin gab es 2021 es mit 92,9% in Kuba, gefolgt von den Sri Lanka (52,2%) und Portugal (50,5%) (siehe Abbildung 2). Es sollte jedoch erwähnt werden, dass Kuba zwar einen beeindruckend hohen Anteil vorweisen kann, jedoch auch nur 15 Patente in 2021 beantragt wurden. Deutschland landet mit 22,1% nur auf Platz 56, zur Erinnerung: der Anteil betrug weltweit durchschnittlich 33,3%, über 10% mehr als in Deutschland. 

Aber wie alle der genannten Länder sind auch die Erfinderinnen in Deutschland auf dem Weg zu mehr Gleichstellung. In Abbildung 3 sieht man deutlich einen Aufwärtstrend: alle Länder haben in den letzten fünf Jahren mindestens zwei Prozentpunkte zugelegt, der globale Durschnitt ist 2021 im Vergleich zu 2016 sogar sieben Prozentpunkte größer. Man könnte nun auf Basis dieser Daten Spekulationen anstellen, wie lange es dauert, bis ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen weiblichen und männlichen Erfinder*innen etabliert sein wird, doch das sei an dieser Stelle Anderen überlassen.

Stattdessen ist die Frage: Wie kommt man überhaupt an diese Zahlen? Klar, die Erfinder*innen werden auf den Patenten bzw. auf den Anträgen namentlich vermerkt, sofern sie dies wünschen, jedoch ohne Angabe des Geschlechts. Man kann natürlich einfach eine Tabelle anlegen mit allen Namen und ein Geschlecht festlegen, beispielsweise „Adam“ ist immer ein männlicher und „Eva“ ein weiblicher Vorname. Das funktioniert für deutsche Namen noch ganz gut, bei manchen Namen wie „Alex“ und „Charlie“ wird es aber schon schwierig. Und spätestens wenn man sich andere Länder anschaut – und das ist bei Patenten fast immer der Fall – bekommt man richtig Probleme. Der Name „Andrea“ wird in Deutschland üblicherweise mit Frauen assoziiert, in Italien aber ist es durchaus auch ein Männername. Das heißt also: man muss sich eigentlich die Namen für jedes Land einzeln anschauen. Das WIPO hat genau das getan, um auf die oben aufgeführten Zahlen zu kommen, jedoch wird auch eingeräumt, dass sich bei dem Mapping einzelner Personen falsche Zuordnungen nicht vermeiden lassen [5].

Ein anderer Ansatz ist das Hinzufügen einer dritten Kategorie „Unbekannt“. So haben es beispielsweise die Autor*innen vom Intellectual Property Office gehandhabt, als sich herausgestellt hat, dass das erarbeitete Datenset zur Bestimmung der Geschlechter der in Patstat gelisteten Erfinder*innen einen Bias aufweist. Weil die grundlegenden Datenquellen hauptsächlich westlichen Namen enthielten, war die Zuordnung von Namen aus Taiwan, China und Südkorea kaum möglich [6]. Eine dritte Spalte einzuführen ist sowieso eine gute Idee zur Vermeidung einer strikten Einteilung nach dem veralteten binären Schema. Und überhaupt darf nicht vergessen werden, dass es hier um statistische Analysen und nicht um Einzelpersonen geht, denn wer sind wir, anderen Personen anhand des Namens einen Stempel aufdrücken zu wollen. Dennoch sind derartige Analysen wichtig, um Ungleichheiten aufzudecken und die richtigen Fragen stellen zu können: Warum patentieren Frauen weniger als Männer und wie kann man die „Giants Gender Gap“ weiter schließen?

 

[1] Marcus John; Wissenschaft in Zeiten der Pandemie; Februar 2022; Nachrichten aus dem Datenraum Februar 2022

[2] https://www3.wipo.int/ipstats/searchForm

[3] World Intellectual Property Organization; World Intellectual Property Indicators 2021; DOI 10.34667/tind.44461

[4] World Intellectual Property Organization; PCT FAQs: Schutz Ihrer Erfindungen im Ausland: Häufig gestellte Fragen zum PCT (Patent Cooperation Treaty); April 2020

[5] Gema Lax Martínez, Julio Raffo, Kaori Saito; Identifying the Gender of PCT inventors; November 2016; Economic Research Working Paper No. 33

[6] Intellectual Property Office; Gender profiles in worldwide patenting; An analysis of female inventorship (2019 edition); November 2019; ISBN 978-1-910790-75-5