Neue Technologien

Europäische Sicherheit & Technik

Das Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT berichtet regelmäßig in der Zeitschrift "Europäische Sicherheit und Technik" über neue Technologien.

 

Aktive Myonen-Radiografie

In der Atmosphäre entstehen durch die Einwirkung kosmischer Strahlung hochenergetische Teilchen namens Myonen, die nahezu jede Substanz über große Längen durchdringen können. Diese natürliche Myonen-Strahlung wird seit Jahrzehnten beispielsweise in der Geologie zur Untersuchung unterirdischer Strukturen oder in der Archäologie zur Detektion von Hohlräumen (z. B. in Pyramiden oder im Untergrund) genutzt. Zunehmend werden bildgebende Verfahren der Myonen-Radiografie auch zur Durchleuchtung von Objekten in den Bereichen Industrie, Bauwesen und Sicherheit erforscht. Durch künstliche, transportable Myonen-Quellen mit höherer Intensität könnten diese Verfahren, die zum Teil tage- bis monatelange Messdauern erfordern, deutlich beschleunigt werden. Dadurch könnten sich für eine solche aktive Myonen-Radiografie in Zukunft auch gänzlich neue Anwendungsmöglichkeiten ergeben, langfristig womöglich auch als Teil transportabler Systeme z. B. zur Detektion von hinter Strahlungsabschirmungen verborgenen radioaktiven Materialien in Frachtcontainern und Lastkraftwagen.

Je höher die Dichte der Materie ist, in die kosmische Myonen oder auch solche aus künstlichen Quellen eindringen, umso mehr Myonen werden darin absorbiert bzw. desto größer ist der Winkel, um den sie abgelenkt werden. Beide Prozesse (Absorption und Streuung) können daher als Grundlage für bildgebende Verfahren der Myonen-Radiografie genutzt werden. Dabei ähnelt das Prinzip der sogenannten Absorption Muography dem von Röntgenaufnahmen, wobei aber mit Myonen auch deutlich größere Objekte, wie z. B. Brücken, Hochöfen oder dickwandige Rohrleitungen, untersucht und Strahlungsabschirmungen, z. B. von Kernreaktoren oder Transport- und Lagerbehältern für radioaktive Abfallprodukte, durchdrungen werden können. Hierbei werden mit einem Myonen-Detektor hinter dem Objekt aus verschiedenen Richtungen vom Himmel bzw. von der Myonen-Quelle kommende Myonen nachgewiesen, nachdem sie das Objekt durchlaufen haben. Vergleicht man eine solche Messung mit einer Messung des Detektors mit freiem Blick auf den Himmel bzw. die Myonen-Quelle, so kann man die Absorption der Myonen im Objekt entlang der verschiedenen Richtungen bestimmen und daraus die Materieverteilung im Objekt ermitteln. Mit einem einzigen Detektor erhält man ein zweidimensionales Bild ähnlich einer Röntgenaufnahme. Kombiniert man die Messdaten von Detektoren an unterschiedlichen Standorten, lassen sich auch dreidimensionale Aufnahmen erzeugen. Generell hängt die erreichbare Auflösung der Aufnahmen von der Anzahl an detektierten Myonen und damit von der Fläche der Detektoren und der Messdauer ab.

Das Prinzip der sogenannten Scattering Muography beruht darauf, wie stark manche der elektrisch geladenen Myonen von den positiv geladenen Atomkernen des durchleuchteten Objekts abgelenkt werden. Dazu werden mit einem geeigneten Detektor auf der einen Seite des Objekts die Einfallsrichtungen der Myonen und einem zweiten Detektor auf der gegenüberliegenden Seite ihre Ausfallsrichtungen bestimmt. Daraus kann dann darauf zurückgeschlossen werden, in welchem Bereich des Objekts die Myonen wie stark abgelenkt wurden. Je mehr dieser Myonen-Streuungen ausgewertet werden, umso genauer lässt sich die dreidimensionale Dichteverteilung des untersuchten Objekts ermitteln. Da die Stärke der Streuung auch von der Ladung der Atomkerne abhängt, können außerdem z. B. Nuklearmaterialien wie Uran oder Plutonium leichter von anderen Materialien unterschieden werden. Zudem lassen sich aussagekräftige Ergebnisse in deutlich kürzerer Zeit als bei der Absorption Muography erzielen – beispielsweise können sich bei der Untersuchung von Frachtcontainern oder Lastkraftwagen mit kosmischen Myonen erste Hinweise auf verdächtiges Material innerhalb von Minuten ergeben.

Die kosmische Myonen-Strahlung ist relativ schwach und diffus – auf Meereshöhe erreichen nur ca. 100 Myonen pro Sekunde einen Quadratmeter der Erdoberfläche. Mit künstlichen Myonen-Quellen, die einen gebündelten, intensiveren Myonen-Strahl auf die zu untersuchenden Objekte abgeben würden, ließen sich die Messdauern sowohl bei der Absorption als auch der Scattering Muography deutlich reduzieren. Ein übliches Verfahren zur künstlichen Erzeugung von Myonen besteht darin, einen Strahl äußerst energiereicher geladener Teilchen auf ein Stück Metall mit hoher Kernladungszahl (z. B. Wolfram) zu richten. Die Teilchen werden in diesem sogenannten Target stark abgebremst und aus der dabei freigesetzten Energie entstehen Myonen sowie andere Teilchen und Strahlung. Zur Erzeugung von Myonen mit Energien, wie sie kosmische Myonen aufweisen, benötigt man allerdings derartig hochenergetische Teilchen, die aktuell nur von hunderte Meter langen Teilchenbeschleunigern in ausreichender Zahl bereitgestellt werden könnten. Als Alternative erforscht man daher, Myonen mit Hilfe von hochenergetischen Elektronen aus laserbasierten Teilchenbeschleunigern, sogenannten Laser-Plasma-Beschleunigern, zu erzeugen. Da hierbei Elektronen mit ultrakurzen und hochintensiven Laserpulsen in nur zentimeterlangen Plasmen auf die benötigten Energien beschleunigt werden können, bieten sie das Potenzial für die Konstruktion von mit vertretbarem Aufwand transportablen Myonen-Quellen.

Eine technische Umsetzung von transportablen Myonen-Quellen erscheint jedoch erst langfristig möglich, da hierfür noch sehr umfangreiche und gezielte Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in verschiedenen Bereichen erforderlich wären. So müssten die benötigten leistungsstarken Pulslaser signifikant verkleinert werden, damit sie z. B. in einem Frachtcontainer oder Transporter untergebracht werden können. Außerdem besteht noch erheblicher Forschungsbedarf, um mit Laser-Plasma-Beschleunigern zuverlässig gebündelte Strahlen ausreichend vieler Elektronen mit der zur Myonen-Erzeugung erforderlichen Energie und zudem möglichst schmaler Energieverteilung erzeugen zu können. Darüber hinaus ist die Erzeugung von Myonen konkret mit Elektronen aus Laser-Plasma-Beschleunigern noch nicht experimentell demonstriert worden und aktuell erst Gegenstand simulationsbasierter Untersuchungen.

 

Dr. David Offenberg