Europäische Sicherheit & Technik
Das Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT berichtet regelmäßig in der Zeitschrift "Europäische Sicherheit und Technik" über neue Technologien.
Das Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT berichtet regelmäßig in der Zeitschrift "Europäische Sicherheit und Technik" über neue Technologien.
In der biohybriden Robotik werden lebende Zellen oder Gewebe in technische bzw. synthetische Systeme integriert, um künstliche Systeme mit biologischen Funktionen auszustatten. Dabei ist die wichtigste Eigenschaft für die Entwicklung von biohybriden Systemen die Fähigkeit lebender Zellen, sich selbst mit Energie zu versorgen. Dazu kommt deren hohe Energieeffizienz. Daher werden lebende Zellen in der Robotik bisher überwiegend als effiziente Lösungen in der Aktorik erforscht, wobei Bewegungen wie Gehen, Greifen, Kriechen Pumpen oder Schwimmen erzeugt werden. Insgesamt befindet sich die biohybride Robotik heute noch im Stadium der Grundlagenforschung.
Bei der Herstellung von biohybriden Systemen sind zwei Hauptansätze möglich. Im ersten Ansatz werden einzelne Zellen verwendet, die mit einer schnellen Beweglichkeit ausgestattet sind, wodurch Systeme auf Mikroebene erzeugt werden. Hierbei werden hauptsächlich Mikroorganismen wie Bakterien oder einzellige Algen, aber auch Spermien eingesetzt. Beim zweiten Ansatz werden multizelluläre Konstrukte verwendet, in denen sich die Zellen zu Geweben zusammenfügen und aufgrund der zelleigenen Kontraktilität Kraft und dadurch Bewegung erzeugen. Dabei werden hauptsächlich Herzmuskelzellen oder Skelettmuskelzellen von Säugetieren wie Ratten oder Mäusen eingesetzt. Aufgrund der großen Umweltrobustheit von Insekten eignet sich auch das Gewebe ihres Dorsalgefäßes, welches die Rolle des Herzens übernimmt, gut für die Verwendung in der biohybriden Robotik.
Systeme, die auf einzelnen Zellen basieren, bieten zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten in der Medizin. Aufgrund ihrer geringen Größe sind Bakterien und einzellige Algen sehr gut geeignet, um für den zielgerichteten Transport von Therapeutika in den Blutkreislauf eingebracht zu werden. Durch ihre kontrollierbare Fortbewegung könnten sie selbst in schwer zugänglichen Bereichen des Körpers eingesetzt werden, was z. B bei der Tumorbehandlung hilfreich wäre. Dabei werden die Zellen mit Medikamenten-beladenen Mikropartikeln sowie für eine magnetische Steuerung mit magnetischen Nanopartikeln ausgestattet. Solche Mikroroboter könnten aber nicht nur für die Behandlung von Krankheiten, sondern auch für deren Diagnose, z. B. zur Lokalisierung von Tumoren, in den Blutkreislauf eingeführt werden. Spermien-basierte Systeme eignen sich für die Behandlung von Gebärmutterhals- und Eierstockkrebs sowie für die assistierte Reproduktion. So könnten Spermien z. B. in einem thermoresponsiven, magnetischen Röhrchen eingefangen werden und durch einen Magneten zur Eizelle gesteuert werden. Bei einem Temperaturanstieg auf 38 °C entfalten sich die Röhrchen, so dass die Spermien freigesetzt werden. In der Robotik könnten multizelluläre muskelbasierte biohybride Systeme zu Verbesserungen führen, wenn z. B. für Aufklärungsmissionen oder für Such- und Rettungseinsätze eine signaturarme und effiziente Fortbewegung sowie ein gutes Leistungsgewicht von Bedeutung sind. Die weiche Beschaffenheit von Muskelgewebe ermöglicht die Herstellung von soften Systemen, die die Mensch-Maschine-Interaktion verbessern könnten. Außerdem könnten sie als Mikromanipulatoren, die Mikroobjekte aufnehmen und platzieren, in der Mikromontage eingesetzt werden. Nicht zuletzt könnten muskelbasierte Systeme auch in Lab-on-a-Chip-Anwendungen eingesetzt werden, z. B. als Arzneimittel-Screening-Plattformen. Dabei liefert die Kontraktionsgeschwindigkeit der Muskelaktoren auf mikrofluidischen Chips Aufschluss über die Wirkung eines Arzneimittels. Auch wenn bislang nur miniaturisierte biohybride Systeme entwickelt wurden, ist das visionäre Ziel große biohybride Plattformen wie Laufroboter zu ermöglichen, indem Muskelgewebe anstelle von herkömmlichen Aktoren mit Robotergelenken verbunden wird. Von solchen Systemen erhofft man sich eine Verbesserung der Anpassungsfähigkeit von bodengebundenen Robotern an instabiles Gelände.
Die Integration lebender Zellen in ein funktionsfähiges System, das eine Umgebung aufrechterhält, die für das Überleben der Zellen geeignet ist, ist eine große Herausforderung. Zellen und Gewebe trocknen an der Luft aus, weshalb sie nur in einer flüssigen Umgebung arbeiten können. Eine Versorgung mit Nährstoffen und Sauerstoff sowie der regelmäßige Abtransport entstehender Abfälle muss sichergestellt werden. Insbesondere Säugetierzellen benötigen eine präzise Kontrolle der Umgebungsbedingungen. Diese Einschränkungen führen zu einer sehr kurzen Lebensdauer der biohybriden Systeme von wenigen Tagen bis hin zu wenigen Monaten. Außerdem ist explantiertes Gewebe in seiner Größe begrenzt. Jedes System erfordert eine Extraktion von neuem Gewebe, was die Skalierbarkeit einschränkt und zu einer schlechten Reproduzierbarkeit führt. Nicht zuletzt wirft die Entnahme von Muskelgeweben aus lebenden Tieren ethische Bedenken auf. Ein Ansatz zur Umgehung dieses Problems besteht in der Differenzierung von Stammzellen. Auch der Einsatz von biohybriden Systemen in medizinischen Anwendungen wirft ethische Fragen auf bezüglich gesundheitlicher Risiken.
Trotz dieser Herausforderungen bietet die biohybride Robotik ein großes Potenzial. Lebende Zellen können chemische Energie aus Energiequellen im sie umgebenden Medium, wie z. B. Glukose, mit hohem Wirkungsgrad in mechanische Energie umwandeln und der eigene Antrieb ermöglicht eine Reduzierung der Größe der Systeme. Die Verwendung dieser umweltfreundlichen Energiequellen führt außerdem zu einer Verringerung der Umweltbelastung. Zellbasierte Materialien bieten aufgrund ihrer Weichheit und Abbaubarkeit Vorteile bezüglich Biokompatibilität und Umweltsicherheit. Schließlich führt die Fähigkeit der lebenden Zellen und Gewebe zur Selbstreparatur potenziell zu einer erhöhten Schadensresistenz der biohybriden Systeme. Bislang konzentriert sich die Forschung auf die Herstellung von monofunktionalen Systemen. Zukünftige biohybride Systeme können aber potenziell mehrere Funktionen übernehmen, z. B. als Sensor und Aktor. Noch sind die biohybriden Systeme weit von einer Anwendungsreife entfernt, aber die Grundlagen für weitere Forschung und Anwendungen sind gelegt.
Dr. Britta Pinzger