Neue Technologien

Europäische Sicherheit & Technik

Das Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT berichtet regelmäßig in der Zeitschrift "Europäische Sicherheit und Technik" über neue Technologien.

 

Bodeneffekt-Flugzeuge

Der großräumige Transport von Nutzlasten wie Ausrüstung, Waren oder auch Menschen erfolgt wesentlich durch Luft- und Seeverkehr. Mit einem herkömmlichen Flugzeug ist ein Lufttransport mit hoher Geschwindigkeit möglich, während ein vergleichbarer Seetransport mit geringerer Geschwindigkeit, aber einer wesentlich höheren Nutzlastkapazität durchgeführt werden kann. Bodeneffekt-Flugzeuge (BEF) könnten eine weitere vielversprechende Option darstellen. Aufgrund ihres Geschwindigkeitsvorteils gegenüber Schiffen und ihrer höheren Nutzlastkapazität im Vergleich zu Frachtflugzeugen könnten sie für bestimmte Anwendungsbereiche von Interesse sein. Aktuelle technische Entwicklungen lassen ihre Realisierbarkeit auch unter ökonomischen Aspekten inzwischen als durchaus möglich erscheinen. Vielversprechende und leistungsfähige Prototypen von BEF existieren bereits heute.

Bei BEF handelt es sich im Prinzip um Flugzeuge, die in der Nähe des Bodens über ebene, hindernisfreie Flächen wie Wasseroberflächen fliegen und dabei das physikalische Phänomen des Bodeneffekts technisch nutzen. Beim klassischen Fliegen in ungestörter Strömung drückt ein Tragflügel die Luft sowohl senkrecht nach oben als auch nach unten. Dabei kommt es auf der Oberseite zu einer stärkeren Luftbeschleunigung durch die Wölbung und den Anstellwinkel des Tragflügelprofils im Vergleich zur Unterseite. Dadurch verringert sich der statische Luftdruck in der stärker beschleunigten Luft auf der Oberseite stärker als auf der Unterseite. Die Tragflügelfläche erfährt durch den daraus resultierenden Druckunterschied zwischen Ober- und Unterseite einen Auftrieb. In unmittelbarer Nähe zum Boden wird nun die Ausweichbewegung der Luft nach unten behindert. Dies führt zu einem weiteren Anstieg des statischen Luftdrucks an der Tragflügelunterseite. Auf diese Weise erhöht sich die daraus resultierende Auftriebskraft am Flugzeug, was zugleich im horizontalen Flug zu einer Verringerung der aerodynamischen Widerstandskräfte führt. So entsteht beim Bodeneffekt praktisch ein Luftpolster, das die aerodynamische Effizienz des Fluges deutlich erhöht. Dadurch kann ein BEF im Vergleich zum Flug in größeren Höhen auch über sehr lange Strecken wesentlich höhere Nutzlasten oder die gleichen Nutzlasten mit geringerem Energiebedarf transportieren.

BEF werden auch als Ekranoplan oder Wingship bezeichnet. Ihre Komponenten sind denen eines Flugzeugs ähnlich: Ein Antriebssystem, ein Leitwerksystem, ein Rumpf und Tragflügel. Hierbei wird das Fahrwerk geändert, da BEF in der Regel für Lande- und Startvorgänge auf Wasseroberflächen konzipiert werden. Der vollständige Schub der Antriebsleistung ist nur für den Startvorgang erforderlich und wird in der Flugphase so nicht benötigt. Im Allgemeinen werden zwei Bauformen unterschieden: BEF, die ihre Flughöhe bedingt durch den Bodeneffekt nicht verändern können, und BEF, die diesen Bereich für einen bestimmten Zeitraum verlassen können. Der gerade Einflügler, der umgekehrte Deltaflügler und der Tandemflügler sind drei gängige Konfigurationen von Tragflügeln. Alle spezifischen Tragflügel sind im Vergleich zur Rumpflänge kürzer, was sie mit Stummelflüglern vergleichbar macht.

Der Einsatz von BEF würde die seit Jahrzehnten bewährten herkömmlichen Luft- und Seetransportmittel nicht generell ersetzen. Es ist davon auszugehen, dass BEF eher für einen Nischenmarkt attraktiv werden und daher spezifische Anforderungen der Mobilitätswirtschaft erfüllen könnten. Zur Aufrechterhaltung der Versorgung der Bevölkerung in Ausnahmesituationen oder zur schnellen Hilfe bei Unfällen auf hoher See wäre der Katastrophenschutz ein mögliches Einsatzgebiet für BEF. Denkbar wäre auch, dass die Küstenwache mit kleinen BEF Patrouillenflüge durchführt, etwa um die illegale Fischerei zu bekämpfen, indem Fischerboote in geschützten Küstengebieten überprüft werden. Auch die Überwachung von Bohrinseln, Küstenabschnitten und Häfen wäre durchaus möglich. Denkbar wäre auch die Verbindung von Inseln und Küstengemeinden oder -städten durch den Personentransport mit einem BEF, ähnlich einem Shuttle, als Alternative zum Schnellboot. So könnten Mitarbeiter wie Monteure oder Techniker für notwendige Wartungsarbeiten wie die Reparatur defekter Anlagen auf Offshore-Windfarmen schnell transportiert werden. Weitere Einsatzmöglichkeiten wären der Gütertransport von Containern oder Lebensmitteln, der einem Schiffstransport ähnelt, oder eine küstennahe Logistik mit kleineren, teilweise selbstfahrenden Cargo-BEF. Darüber hinaus könnten BEF in der Tourismusbranche für Langstreckenreisen eingesetzt werden.

Bereits vor mehr als 60 Jahren begannen vielversprechende technische Realisierungen in Form von flugtüchtigen BEF-Prototypen, die jedoch aufgrund des hohen Entwicklungs- und Betriebsrisikos, der hohen Betriebskosten und ihrer geringen Leistungsdaten nie auf den Markt gebracht wurden. In der Vergangenheit scheiterte die Umsetzung von BEF auch daran, dass die Betriebskosten bestehender Transportmittel immer deutlich geringer waren. Die Entwicklung von BEF bringt zahlreiche Schwierigkeiten mit sich und erfordert Kompetenzen sowie Erfahrungen in Bereichen wie z. B. der Abschätzung aerodynamischer Kennwerte sowie der Flugstabilität und -kontrolle. Auch Probleme bezüglich einheitlicher Konstruktionsnormen, der Rentabilität und der Verwendungsmöglichkeit kommerzieller Bauteile sind noch nicht gelöst. Dennoch erscheint es langfristig realistisch, große BEF für Nutzlasten von 100 t oder mehr umzusetzen. Kleinere BEF, z. B. für den Personenverkehr mit wenigen Fahrgästen, könnten sogar früher realisierbar werden. Gegenwärtige technologische Fortschritte sollten hier schon bald eine kostengünstigere Produktion und einen sicheren Betrieb ermöglichen. Daher ist bei kleineren BEF jetzt schon eine kurzfristige Umsetzung mit dem Ziel einer Kommerzialisierung durchaus denkbar.

 

Dr. Baycan Yildirim