Neue Technologien

Europäische Sicherheit & Technik

Das Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT berichtet regelmäßig in der Zeitschrift "Europäische Sicherheit und Technik" über neue Technologien.

 

MXene

Zweidimensionale (2D) Materialien haben seit der Entdeckung des aus Kohlenstoffatomen bestehenden Graphens vor 20 Jahren aufgrund ihrer außergewöhnlichen Eigenschaften und den damit verbundenen Anwendungsmöglichkeiten für viel Aufsehen gesorgt. MXene gehören ebenfalls zu dieser inzwischen großen Gruppe und können als Zumischung zu gängigen Werkstoffen große Effekte in Bezug auf deren optische, chemische, elektronische sowie mechanische Eigenschaften erzielen. Solche MXen-Nanokomposite werden gezielt für Anwendungen im Bereich der Energiespeicherung, Biomedizin, Gefahrstoffdetektion und Abschirmung elektromagnetischer Wellen bis hin zu Sensoren und modifizierten Explosivstoff-Systemen entwickelt.

MXene bestehen aus nur einer oder wenigen Lagen von Verbindungen aus Übergangsmetallen (»M«, z. B. Titan) mit Kohlenstoff oder Stickstoff (»X«). Alleine aus diesen Kombinationsmöglichkeiten lässt sich eine enorme Bandbreite an möglichen neuen Werkstoffen entwickeln, deren Schichten praktisch nur aus Oberfläche bestehen. Ihre Struktur wird daher als zweidimensional bezeichnet. Das am längsten und intensivsten erforschte MXen ist ein derartiges Material auf der Basis von Titancarbid (sog. 2D-Titancarbid). Die Herstellung von MXenen findet derzeit noch im Labormaßstab statt. Sie erfolgt meist über ihre dreidimensionalen Verwandten, die sog. MAX-Phasen, wobei »A« hier üblicherweise für ein Hauptgruppenelement steht. Zur Herstellung der MXene werden mit Hilfe von Ätzverfahren, bei denen teils Flusssäure eingesetzt wird, die A-Schichten aus den MAX-Phasen entfernt. Dadurch bildet sich die MX-Struktur. Mit dieser Herstellungsroute sind derzeit auch einige der größten Herausforderungen verbunden, da speziell mit Flusssäure ein enormes Gefährdungspotenzial für Menschen und Umwelt verbunden ist. Darüber hinaus hängen die Eigenschaften der MXene – und somit auch ihre Auswirkungen auf die Eigenschaften der Nanokomposite – stark vom Herstellungsprozess ab. Diese Abhängigkeiten, die die für industrielle Zwecke erforderliche Reproduzierbarkeit der MXene erschweren, erfordern Normierungs- und Standardisierungsmaßnahmen. Diese Problematik ist mit der des Graphens vergleichbar und hier lassen sich wahrscheinlich Strategien zur Beschleunigung finden.

MXene werden zur Verbesserung der mechanischen Eigenschaften von Polymeren, metallischen Werkstoffen, wie z. B. Aluminium oder ultraleichten Magnesium-Lithium-Legierungen, sowie spröden Keramiken, wie z. B. Aluminiumoxid, in Betracht gezogen. Durch die Zugabe von zwei Gewichtsprozent 2D-Titancarbid zu Aluminiumoxid ist es z. B. gelungen die Härte und Bruchzähigkeit um ca. 300 % und die Biegefestigkeit um ca. 150 % zu erhöhen. In Form von Schmieradditiven für öl- und wasserbasierte Flüssigschmierstoffe, aber auch von Festschmierstoffen, verringern sie die Reibung beim Betrieb mechanischer Systeme, indem sie sich leicht gegeneinander verschieben.

Da MXene unterschiedlich große Ionen zwischen ihren Schichten aufnehmen können, sind sie nicht nur Kandidaten für die Optimierung etablierter Energiespeichersysteme, speziell der Lithium-Ionen-Batterien, sondern sollen auch Batterietypen basierend auf anderen Elementen den nächsten Entwicklungsschub ermöglichen. Generell werden MXen-basierte Speichersysteme für so gut wie alle Batterietypen und Superkondensatoren in Betracht gezogen. Speziell textile Energiespeicher könnten aufgrund der Flexibilität und möglichen Transparenz einiger MXene profitieren. Darüber hinaus sollen MXene zur Energiegewinnung bei mehreren Formen des sog. Energy Harvesting eingesetzt werden (z. B. Photovoltaik, Triboelektrik, Piezoelektrik).

Auf Basis von MXenen sollen auch verschiedene Typen von Sensoren realisiert oder verbessert werden. Dazu zählen flexible Druck- und Dehnungssensoren, biomedizinische Sensoren sowie Infrarot-Sensoren mit signifikant verbesserter Empfindlichkeit. Ein weiteres großes Anwendungsfeld für MXen-Sensoren könnte die Zustandsüberwachung großer Strukturen (Structural Health Monitoring) sein. Darüber hinaus könnten MXene genutzt werden, um die Selektivität chemischer Sensoren für Gift- und Gefahrstoffe, wie z. B. Schwermetalle oder Ammoniak, zu erhöhen. Die ultra-schnelle Detektion von Ammoniak im Spurenbereich (sub-ppm) könnte zur Warnung auch bei latenten Feuern genutzt werden. Von spezifischem militärischen Interesse könnten Entwicklungen zur Detektion von Explosivstoffen sowohl zur Überwachung in einer entsprechenden Gefahrenlage als auch zum forensischen Nachweis ihres Einsatzes sein. Gleiches kann für MXene als Kandidaten für die Modifikation etablierter Explosivstoffe (z. B. Nitrotriazolon/MXen-Komposit mit verringerter Schlag- und Reibungsempfindlichkeit, höherer thermische Stabilität sowie geringerer Korrosivität gegenüber Stahl) sowie eine verbesserte Laserzündung von Materialien mit hoher Energiedichte (z. B. CL-20) und die Zersetzung von Explosivstoffen angenommen werden. Als weiteres, vorrangig militärisches Anwendungsfeld für MXene wird die Härtung elektronischer Geräte auch gegen gezielte Angriffe mit elektromagnetischen Wellen (Electromagnetic Interference = EMI) untersucht.

Der Sprung vom Technikum in die Produktion sollte aufgrund der leichten Adaptierbarkeit der MXen-haltigen Ausgangsstoffe für gängige und günstige Produktionsverfahren schnell zu realisieren sein, sobald die großtechnische Herstellung der MXene selbst möglich ist. Erst wenn diese Hürde überwunden ist, wird sich die Dynamik aus den Forschungslaboren bis in die Produktentwicklung übertragen. Es ist zu erwarten, dass MXene zunächst in solche Anwendungen gebracht werden, in denen bereits andere 2D-Materialien, insbesondere Graphen, bekannt sind. Festschmierstoffe sind ein solches Beispiel, hier könnten bereits kurz- bis mittelfristig neue Produkte auf den Markt kommen. Insgesamt kann mittelfristig in unterschiedlichsten Anwendungen mit einer Kommerzialisierung gerechnet werden, insbesondere bei MXen-basierten Energiespeichern. Wie sich die neuen Materialien unter Realbedingungen verhalten, bleibt allerdings noch abzuwarten.

 

Dr. Heike Brandt