Funktionale Polymerbeschichtungen
Vielleicht waren auch Sie schon von einer vermoosten, verrosteten Gießkanne, einer beschlagenen Brille beim Betreten des Tropenhauses im Zoo oder einem eingeklappten, festgefrorenen Autospiegel genervt. Solche Funktions- und Effizienzverluste können z. B. bei Flugzeugen, Windrädern sowie Sicht- oder Detektorfenstern teils drastische Konsequenzen haben oder zusätzliche Kosten erzeugen. So werden in Deutschland für 2019 die Kosten, die allein durch Korrosion (Reaktion von Werkstoffen mit ihrer Umgebung) verursacht werden, auf über 100 Milliarden Euro geschätzt, was in etwa 3 bis 4 % des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Daher sucht man Möglichkeiten, solchen und ähnlich gelagerten Problemen zu begegnen ‒ unter anderem mit funktionalen Polymerbeschichtungen. Zu solchen Funktionalisierungen können ein intelligenter Korrosionsschutz, eine verminderte Anhaftung von marinen Organismen (Antifouling), eine verringerte Eisbildung (Anti-Icing) oder Reibung speziell in Kontakt mit Wasser, Selbstheilung und isolierende Eigenschaften (z. B. passiver Wärmeschutz) gehören. All diese Fähigkeiten bieten Antworten auf gegebene Umweltbedingungen. Hinzu kommt, dass die Verträglichkeit für Mensch und Umwelt immer stärker in den Fokus rückt. Dies führt dazu, dass bereits etablierte Materialsysteme (z. B. schwermetallhaltige Antikorrosionsmittel oder biozidhaltige Antifouling-Beschichtungen) ersetzt werden und dadurch zu einer erneuten Dynamik in diesem Bereich.
Derzeit werden klassische Beschichtungssysteme im Rahmen der betriebsinternen Forschung und Entwicklung von den jeweiligen Hersteller*innen stetig verbessert. Jedoch heben sich in der wissenschaftlichen Literatur einige Forschungsansätze von dieser evolutionären Entwicklung ab. Zu solchen grundlegend neuen polymerbasierten Materialkonzepten, die sich fast alle noch im Stadium der Grundlagenforschung befinden, zählen im Bereich der Anti-Icing-Beschichtungen kurze, deformierbare Polymere (z. B. Polydimethylsiloxan-Gele), die in Kunststoffschichten integriert werden, um durch eine optimierte Oberflächensteifigkeit die Anhaftung von Eis zu unterbinden. Die Durchlässigkeit für Wassermoleküle soll währenddessen als ein zusätzliches Designkriterium bei der Entwicklung von Anti-Fogging-Beschichtungen genutzt werden. Dabei dient eine hydrophile Schicht als Reservoir für die Wassermoleküle, die durch eine darüberliegende hydrophobe, jedoch wasserdurchlässige Nanoschicht wandern. Dies erlaubt einen schnellen Abtransport des Wassers, das nicht schon an dieser obersten Schicht abgeperlt ist.
Bei den Antikorrosionsbeschichtungen liegt ein Schwerpunkt auf der geschickten Kombination von hydrophilen und hydrophoben Bereichen innerhalb hierarchischer Strukturen, durch die permanente Luftschichten oder Flüssigkeitsfilme Schiffsrumpf und Meerwasser zuverlässig trennen sollen. Hier wird z. B. der sogenannte Salvinia-Effekt genutzt. Dies ist ein recht weit entwickeltes Konzept, das auf den haarartigen, schneebesenförmigen Strukturen von Schwimmfarnen der Gattung Salvinia beruht. Darüber hinaus sind Graphen und davon abgeleitete Materialien, z. B. die Fluorierung des Graphens, sowie organische Gerüststrukturen zur Verbesserung der korrosionshemmenden Wirkung von Interesse. Verlieren funktionale Oberflächen ihre Effizienz, müssen Komponenten ausgebaut und ersetzt werden, daher besteht ein hohes Interesse an ihrer Regeneration, z. B. durch Selbstheilungsprozesse. Für Antifouling-Beschichtungen wird derzeit zudem ein weiteres Konzept entwickelt, das auf der Nutzung abbaubarer Zwischenschichten basiert. Die Schichtablösung ist dabei so konzipiert, dass sich die verschlissene Beschichtung durch Häuten oder Abschälen der Oberfläche regeneriert.
Das Feld wird sich auch weiterhin langsam fortentwickeln, wobei z. B. die Integration zusätzlicher sensorischer Funktionen von besonderem Interesse zu sein scheint. Ein Beispiel sind Flammschutzbeschichtungen, bei denen neben einer erhöhten thermischen Stabilität oder Beeinflussung der Zersetzungsprodukte eine Brandwarnung durch den Rückgang des elektrischen Widerstandes erreicht werden konnte. Allgemein lässt sich sagen: Obgleich Computersimulationen in anderen Bereichen der Werkstoffentwicklung weit verbreitet sind, können im Bereich der Polymerbeschichtungen derzeit nur vereinzelte Entwicklungen von Simulationsumgebungen für den Designprozess von z. B. Anti-Icing-Polymersystemen identifiziert werden. Hier liegt also noch weiteres Entwicklungspotenzial.