Supply Chain Resilienz
Lieferketten bilden das Rückgrat einer Volkswirtschaft. Sie versorgen Haushalte wie Unternehmen mit allen benötigten End- und Zwischenprodukten oder Rohstoffen. Umgekehrt formen Sie die Verbindungen zu Abnehmern eigener Produkte. Heute, wo Lieferketten oft vielgliedrig sind und die ganze Welt umspannen, sind diese Abhängigkeiten zunehmend schwer abzuschätzen. So führte etwa der Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull in Island 2010 dazu, dass in Kenia tonnenweise Rosen vernichtet werden mussten, da sie die Abnehmer in Europa nicht mehr rechtzeitig erreichten. Ein Unfall oder der Beschuss durch jemenitische Rebellen im Suezkanal oder Klimawandelfolgen wie jüngst Kleinwasser im Panama-Kanal führen zu Milliardenverlusten rund um die Welt. In der Folge der zunehmenden Sicherheit investieren Unternehmen mehr in Supply Chain Resilienz, also in Lieferketten, die weniger störungsanfällig sind und sich von Störungen besser und schneller erholen. Die Politik debattiert hingegen zunehmend, die Produktion von kritischen Gütern wie medizinischen Produkten im Inland zu halten oder nach erfolgten Abwanderungen zurückzuholen (sogenanntes Reshoring).
Doch die Anpassung einer Lieferkette zur Reduzierung von Risiken ist nicht trivial. In den meisten Fällen kennen Unternehmen und Kunden weder die Akteure einer Lieferkette, noch haben sie Information über den Materialfluss entlang der Supply Chain. Knapp die Hälfte der deutschen Unternehmen kennt lediglich die direkten Zulieferer und Kunden. Nur 2 % der Unternehmen geben in einer Studie von 2021 an, dass sie auch die Akteure drei Stufen vor dem eigenen Unternehmen in der Lieferkette noch kennen. Eine so geringe Transparenz der eigenen Supply Chains macht ein systematisches Risikomanagement – und damit einen Aufbau von mehr Resilienz – nur schwer möglich. Unabhängig davon birgt eine solche Intransparenz zunehmend auch ein Risiko für sich, da das deutsche Lieferkettensorgfaltsgesetz und das EU-Lieferkettengesetz Unternehmen direkt für Menschenrechtsverstöße oder Umweltverbrechen in ihrer Lieferkette rechtlich verantwortlich machen.
Um Lieferketten resilienter zu gestalten ist die Sichtbarkeit entlang der Kette folglich ein wesentlicher Faktor. Genau hier versprechen viele Lösungen der Industrie 4.0 Besserung. So erleichtert etwa das Internet der Dinge, also die Einbindung von Maschinen und Produkten in das Internet, die Erhebung von Daten entlang der gesamten Lieferkette. Dies wiederum ermöglicht oftmals erst eine Überwachung des Materialflusses entlang der Supply Chain. Ergänzend ermöglicht es die Modellierung von digitalen Zwillingen von Lieferketten nahezu in Echtzeit Abweichungen zwischen dem geplanten und simulierten Materialfluss und der tatsächlichen Situation zu erkennen und entsprechend schnell auf Störungen zu reagieren. Schließlich helfen Big Data Analytics oder gar künstliche Intelligenzen dabei die erhobenen Datenmengen zu verarbeiten, prüfen und aufzubereiten. So verspricht etwa eine Ausgründung von DHL bereits durch öffentlich zugängliche Daten, wie Frachtlisten, durch eine KI aufdecken zu können, welche Lieferketten von Zwangsarbeit in der chinesischen Region Xinjiang profitieren.
Künftig wird sich die Transparenz von Lieferketten, zumindest solchen an denen deutsche Unternehmen beteiligt sind, alleine durch rechtliche Vorgaben zur sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit erhöhen müssen. Gesellschaftliche Trends, wie etwa eine zunehmende Einbeziehung ökologischer Kriterien beim Konsum, verstärken diese Tendenz genauso wie der zunehmende Bedarf von Unternehmen, mehr Resilienz in unsicheren Zeiten zu schaffen. Ob Lieferketten künftig vollständig transparent werden und ob vielleicht sogar Endkunden diese Daten abrufen werden können, bleibt hingegen unklar. Die nötigen Investitionen zur Schaffung voller Transparenz sowie laufende Kosten zur Überwachung und den Einsatz etwa künstlicher Intelligenzen übersteigen bisher oft den wirtschaftlichen Nutzen durch das Mehr an Resilienz noch nicht. So bleibt abzuwarten, ob Gesetzgebungen, Kundenbedürfnisse und weitere, womöglich schwerwiegende Unterbrechungen von Lieferketten zukünftig den Druck auf Unternehmen weiter erhöhen, so dass volle Transparenz zum Wettbewerbsvorteil wird.