Wehrtechnische Vorausschau

Empfehlungen für die Forschungsplanung

Die Wehrtechnische Vorausschau wird im Auftrag des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) erstellt und umfasst in der Regel 13 technologische Zukunftsthemen pro Jahr. Diese interessenunabhängigen Analysen zum Stand der Forschung, dem Zukunftspotenzial und den Implikationen für die BMVg-Planung dienen dazu, den Auftraggeber bei seinem Planungsprozess zu unterstützen. Im Jahr 2023 wurden neun Einzeltechnologien analysiert, zwei visionäre Zukunftskonzepte behandelt und zwei Technologien im Rahmen von Updates einer aktualisierten Bewertung unterzogen. Exemplarisch werden hier drei Themen in Kurzform dargestellt: 

 

Aktive Myonen-Radiografie – Untersuchung großer Objekte und Strukturen mit transportablen Myonen-Quellen

In der Atmosphäre entstehen durch die Einwirkung kosmischer Strahlung hochenergetische Teilchen namens Myonen, die nahezu jede Substanz über große Längen durchdringen können. Diese natürliche Myonen-Strahlung wird seit Jahrzehnten genutzt, um unterirdische Strukturen aufzuklären, vor allem im Rahmen geologischer und archäologischer Untersuchungen. Zunehmend werden bildgebende Verfahren der Myonen-Radiografie nun auch für Anwendungen in den Bereichen Industrie und Sicherheit erforscht. Durch künstliche, transportable Myonen-Quellen mit höherer Intensität könnten diese zum Teil tage- bis monatelange Messdauern erfordernden Verfahren signifikant beschleunigt werden. Außerdem würden transportable Myonen-Quellen eine höhere Flexibilität bei der Aufstellung der benötigten Myonen-Detektoren erlauben. Generell könnten sich für eine solche aktive Myonen-Radiografie auch gänzlich neue Anwendungsmöglichkeiten ergeben.

Das übliche Vorgehen zur Erzeugung von Myonen besteht darin, einen Strahl äußerst energiereicher Teilchen auf ein Stück Metall mit hoher Kernladungszahl zu richten. Für die Myonen-Radiografie ausreichende Teilchenenergien können aktuell allerdings nur von großen Teilchenbeschleunigern bereitgestellt werden. Zur technischen Umsetzung transportabler Myonen-Quellen wird daher der Einsatz neuartiger laserbasierter Teilchenbeschleuniger untersucht. Vor dem Hintergrund der aktuellen Fortschritte bei derartigen Laser-Plasma-Beschleunigern erscheinen entsprechende Myonen-Quellen in näherer Zukunft realisierbar

 

Vergleichbare Analysen wurden zu den folgenden Einzeltechnologien erstellt:

  • Metall-Luft-Batterien – Das Fernziel der Batterieentwicklung 
  • MXene – Neuartige 2D-Materialien mit großer Designvielfalt 
  • Small Modular Reactors – Transportable Energieversorgung mit hoher Leistung 
  • 3D-Graphen-Architekturen – Werkstoffe mit einem breiten Anwendungsbereich 
  • Automatisiertes maschinelles Lernen – Künstliche Intelligenz effizient und automatisch erstellen 
  • Biowasserstoff – Biologische Erzeugung und Speicherung von Wasserstoff
  • Bodeneffekt-Flugzeuge – Eine Kombination von hoher Geschwindigkeit und großer Transportkapazität
  • Neurosymbolische künstliche Intelligenz – Eine Kombination der Stärken von zwei unterschiedlichen Ansätzen.

Als visionäre Zukunftskonzepte, bei denen aus einer übergeordneten Perspektive heraus die dafür erforderlichen Technologien und deren Reife abgeleitet werden, wurden 2023 die Themen »Future Space Domain« sowie »Künstliche Intelligenz in unbemannten mobilen Systemen« behandelt.

 

Künstliche Intelligenz in unbemannten mobilen Systemen

Künstliche Intelligenz (KI) ist der Überbegriff für Anwendungen, bei welchen technische Systeme sich an der natürlichen Intelligenz des Menschen orientieren. Die beschriebene Vision basiert auf der Implementierung von Modellen der KI in unbemannten mobilen Systemen, um damit sogenannte autonome Systeme zu erhalten. Diese sind in ihrer Verwendung breit und flexibel angelegt und geeignet für die eigenständige Durchführung komplexer Einsätze unter den realen Bedingungen einer offenen, dynamischen und nicht kooperativen Umgebung eines Gefechtsfelds. Diese Umgebung zeichnet sich durch unerwartet auftretende, äußere Einflüsse und ihre unsichere und unvollständige Informationslage aus.

Zu zwei bereits in der Vergangenheit analysierten Technologien war eine Aktualisierung erforderlich, da in jüngster Zeit erhebliche Fortschritte zu beobachten waren. Neben dem »Update: Kinodynamische Wegplanung« wurde das »Update: Electronic Skin« erstellt.

 

Update: Electronic Skin

Als Electronic Skin (E-Skin) wird dünne, flexible Elektronik bezeichnet, die ausgewählte mechanische und funktionelle Eigenschaften der menschlichen Haut nachahmt. Dazu werden Sensoren und andere elektronische Bauteile in elastisch verformbare Trägermaterialien eingebettet. Durch die geschickte räumliche Anordnung von nichtflexiblen Komponenten und Leiterbahnen, die Einbringung von leitfähigen Nanofüllstoffen oder den Einsatz von Bauteilen mit intrinsischer Flexibilität werden flächige Sensoren realisiert, die ohne Funktionseinbußen gedehnt, gestaucht und verdreht werden können. Seit der ursprünglichen Bearbeitung des Themas im Jahr 2016 hat die Forschung eine Vielzahl neuer, häufig multifunktionaler E-Skin-Konzepte demonstriert.